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Dienstag, 28. April 2020

Cabo de Gata


der kuss der freiheit
andere welten verspricht
der blick durchs fenster

Drei Regentage in Orgíva sind genug. Ich habe mich von der Enge des österlichen Treibens in Granada erholt. Als ich in Orgíva eintraf, ahnte ich nicht einmal, welche Erinnerungen der Ort ans Licht ziehen würde. In einem Zimmer, gerade einmal groß genug für ein Bett, in einem Städtchen ohne jede Spur touristischen Rummels. Ein paar Tage, ohne mich durch Scharen von Besuchern aus aller Welt zu schieben. Das habe ich gewollt.

Montag, 27. April 2020

Cala Higuera


Da draußen aber gibt es unerforschte Wunder –
Wunder, die darauf warten, daß der rechte Mann
alles aufs Spiel setzt, sie zu entdecken.

T. Coraghessan Boyle

Ich wollte nach Isleta del Moro gehen, aber zwanzig Kilometer sind mir heute zu weit. Die Wanderung von gestern sitzt noch in meinen Muskeln. Über Land nach Pozo las Fraillas zu gehen, reizt mich nicht. Ich will etwas mit Strand, etwas Kleines eher Müheloses, wenn es solche Wanderungen gibt. Ein Spaziergang vielleicht. Nachdem mir meine Wanderung zur Playa de Genovéses und auf den Morrón de los Genoveses gefallen hat, wähle ich aufs Geradewohl eine kleine Bucht nördlich von San José aus: die Cala Higuera. Ihr Name erinnert mich an den Fluss, durch den ich vor ein paar Wochen gewandert bin.

Mittwoch, 22. April 2020

Ausklang


wanderlust! rentlessly craving
wanderlust peel off the layers
until you get to the core

[...]
rentlessly restless restless rentlessly
Björk, MoMa, 2015

Das Besondere an meinen Reiseerzählungen besteht darin, dass sie selbstreferenziell sind. Das ist auch nicht anders möglich, denn Wandern, richtig betrieben, wird zu einer sehr persönlichen Angelegenheit. Grundsätzlich gibt es nur zwei Arten zu wandern: allein oder in Gemeinschaft. Mit dem Herzen oder dem Verstand. Allein zu wandern ist beschaulich und meditativ, gemeinsam zu wandern sozial und kommunikativ. Beides gleichzeitig schwer möglich, es sei denn, man sondert sich ab. Doch dann bricht man besser gleich allein auf. Es gilt, eine Wahl zu treffen. Meine Erinnerungen, Notizen und theoretischen Randbemerkungen über das Gehen handeln von mir: von meinem Empfinden, meinen Gefühlen und meinen Gedanken. Es gelingt mir nicht, das Wandern von meiner psychischen Befindlichkeit zu trennen. Es geht auch nicht darum, jemandem irgendwelche Ratschläge zu geben, dafür zu sorgen, dass er ausgetretenen Wegen folgen kann. Mir ist es wichtig, anzuregen, eine ganz bestimmte Haltung und Sichtweise zu fördern, die in der Überzeugung gipfelt: Die Zeit zur Wiederentdeckung der Landschaft ist gekommen. Gehen ist die natürlichste Fortbewegung des Menschen. Gehen entspricht seiner eigentlichen Natur, denn zu gehen liegt dem Homo sapiens, der ein Homo viator ist, im Blut. Wir sind Bewegungswesen. Es liegt an der modernen Entfremdung des Menschen von der Natur, dass er das Gehen aufgegeben hat. Nun glaubt er, nicht mehr gehen zu müssen, stelle einen Fortschritt dar. Der zunehmende Niedergang des Gehens wirkt sich so katastrophal aus, wie die künstliche Trennung von Körper und Psyche oder die Entfremdung des Menschen von der Natur. Die Hegemonie der Kultur über die Natur, des Körpers über das leibliche Spüren, hat ihren Zenit erreicht und ist nicht länger zukunftsfähig. Diese Perspektive ist mehr als eine Idealvorstellung, die zu einem guten Leitmotiv taugt. Mir scheint es wichtig, darauf hinzuweisen, dass besonders absichtsloses Gehen, Flanieren oder Spazierengehen, eine einzigartige Wahrnehmung der Welt ermöglicht. Näher und intensiver als zu Fuß kommt uns die Umgebung, in der wir uns bewegen, nie. Zu Fuß spüren wir die Welt am eigenen Leib. In den vorausgegangenen Erzählungen war immer wieder davon die Rede.