Posts mit dem Label Las Alpujarras werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Las Alpujarras werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 29. April 2020

Las Alpujarras


Das «panoramische Gefühl», mitten in einer Landschaft zu stehen.
Die Welt ringsum liegt mir zu Füßen. Ich bin ihr Mittelpunkt.
Ein Gefühl, so unverfügbar und so flüchtig wie ein Moment
des Glücks, kaum beschreibbar: das Gefühl, frei zu sein
.
Ulrich Grober

Ich bin erst eine Woche in Spanien, doch es fühlt sich nach Wochen an. Vielleicht liegt es daran, dass die Zeit auf dem Land langsamer verstreicht als in der Stadt. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich frei bin, weil alle Zwänge zu Hause geblieben sind. Zeit spielt keine Rolle. Ich habe lange geübt, bis es soweit war, bis mein Zeitgefühl und mein Körpergefühl nicht mehr gegeneinander arbeiten. Es ist eine merkwürdige Erfahrung, festzustellen, was die Norm der Uhr uns täglich antut. Günter Eich hat das in seinem Hörspiel Das Jahr Lazertis sehr schön formuliert. Dort vertritt er die Meinung, dass Zeit die Farbe einer wilden Rose und das Schillern einer Schlangenhaut ist. Welch ein Privileg ist es doch, Pilger, Reisender oder gleich ein Vagabund zu sein. Zu Fuß gehen: Ein unvergleichliches Erlebnis. Wer sich die Bedeutung oder den Geschmack des Flanierens auf der Zunge zergehen lässt, der weiß, wovon ich rede.

Mittwoch, 22. April 2020

Ausklang


wanderlust! rentlessly craving
wanderlust peel off the layers
until you get to the core

[...]
rentlessly restless restless rentlessly
Björk, MoMa, 2015

Das Besondere an meinen Reiseerzählungen besteht darin, dass sie selbstreferenziell sind. Das ist auch nicht anders möglich, denn Wandern, richtig betrieben, wird zu einer sehr persönlichen Angelegenheit. Grundsätzlich gibt es nur zwei Arten zu wandern: allein oder in Gemeinschaft. Mit dem Herzen oder dem Verstand. Allein zu wandern ist beschaulich und meditativ, gemeinsam zu wandern sozial und kommunikativ. Beides gleichzeitig schwer möglich, es sei denn, man sondert sich ab. Doch dann bricht man besser gleich allein auf. Es gilt, eine Wahl zu treffen. Meine Erinnerungen, Notizen und theoretischen Randbemerkungen über das Gehen handeln von mir: von meinem Empfinden, meinen Gefühlen und meinen Gedanken. Es gelingt mir nicht, das Wandern von meiner psychischen Befindlichkeit zu trennen. Es geht auch nicht darum, jemandem irgendwelche Ratschläge zu geben, dafür zu sorgen, dass er ausgetretenen Wegen folgen kann. Mir ist es wichtig, anzuregen, eine ganz bestimmte Haltung und Sichtweise zu fördern, die in der Überzeugung gipfelt: Die Zeit zur Wiederentdeckung der Landschaft ist gekommen. Gehen ist die natürlichste Fortbewegung des Menschen. Gehen entspricht seiner eigentlichen Natur, denn zu gehen liegt dem Homo sapiens, der ein Homo viator ist, im Blut. Wir sind Bewegungswesen. Es liegt an der modernen Entfremdung des Menschen von der Natur, dass er das Gehen aufgegeben hat. Nun glaubt er, nicht mehr gehen zu müssen, stelle einen Fortschritt dar. Der zunehmende Niedergang des Gehens wirkt sich so katastrophal aus, wie die künstliche Trennung von Körper und Psyche oder die Entfremdung des Menschen von der Natur. Die Hegemonie der Kultur über die Natur, des Körpers über das leibliche Spüren, hat ihren Zenit erreicht und ist nicht länger zukunftsfähig. Diese Perspektive ist mehr als eine Idealvorstellung, die zu einem guten Leitmotiv taugt. Mir scheint es wichtig, darauf hinzuweisen, dass besonders absichtsloses Gehen, Flanieren oder Spazierengehen, eine einzigartige Wahrnehmung der Welt ermöglicht. Näher und intensiver als zu Fuß kommt uns die Umgebung, in der wir uns bewegen, nie. Zu Fuß spüren wir die Welt am eigenen Leib. In den vorausgegangenen Erzählungen war immer wieder davon die Rede.