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Donnerstag, 30. April 2020

Sierra de Almijara


The road goes ever on and on
Down from the door where it began
But far ahead the road has gone
And I must follow if I can

John Ronald Reuel Tolkien

Ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der die besten Gedanken beim Gehen hat, und dass unterwegs die Freiheit grenzenlos werden kann. Dann, wenn Alltag und Routine, Kreativität tötende Verpflichtungen und gegenseitige Erwartungen, die kleinlichen Zumutungen und Bedenklichkeiten, die Unsicherheiten und all das, was nicht wirklich in mein Leben gehört, zurückgelassen werden. Mit allem muss ich mich auseinandersetzen, damit die Welt um mich funktioniert. Doch ich weiß auch, dass die individuelle Lebenswelt immer wieder für eine Weile verschwinden und in der Bedeutungslosigkeit versinken muss. Bevor diese Freiheit gewonnen ist, muss man sie erwerben, muss man lernen, frei zu sein, muss man sich bemühen, herausfordern lassen und bewähren. Das zumindest hat die Freiheit mit dem Alltag gemeinsam, wenn auch das Ergebnis völlig verschieden ist. Eine Schnittstelle zwischen alltäglicher Lebenswelt und individueller Freiheit sind lange Wanderungen und Fußreisen; gelegentlich ermöglicht das auch ein Spaziergang, wenn er zum richtigen Moment passiert. Freiheit, das ist wichtig, lässt sich nur realisieren, wenn auch alle anderen frei sind. Es reicht nicht aus, die Regierungsform zu wechseln, die Geisteshaltung der Menschen muss sich ändern. Ein hoher Anspruch, ich weiß das. Ein Dilemma.

Mittwoch, 22. April 2020

Ausklang


wanderlust! rentlessly craving
wanderlust peel off the layers
until you get to the core

[...]
rentlessly restless restless rentlessly
Björk, MoMa, 2015

Das Besondere an meinen Reiseerzählungen besteht darin, dass sie selbstreferenziell sind. Das ist auch nicht anders möglich, denn Wandern, richtig betrieben, wird zu einer sehr persönlichen Angelegenheit. Grundsätzlich gibt es nur zwei Arten zu wandern: allein oder in Gemeinschaft. Mit dem Herzen oder dem Verstand. Allein zu wandern ist beschaulich und meditativ, gemeinsam zu wandern sozial und kommunikativ. Beides gleichzeitig schwer möglich, es sei denn, man sondert sich ab. Doch dann bricht man besser gleich allein auf. Es gilt, eine Wahl zu treffen. Meine Erinnerungen, Notizen und theoretischen Randbemerkungen über das Gehen handeln von mir: von meinem Empfinden, meinen Gefühlen und meinen Gedanken. Es gelingt mir nicht, das Wandern von meiner psychischen Befindlichkeit zu trennen. Es geht auch nicht darum, jemandem irgendwelche Ratschläge zu geben, dafür zu sorgen, dass er ausgetretenen Wegen folgen kann. Mir ist es wichtig, anzuregen, eine ganz bestimmte Haltung und Sichtweise zu fördern, die in der Überzeugung gipfelt: Die Zeit zur Wiederentdeckung der Landschaft ist gekommen. Gehen ist die natürlichste Fortbewegung des Menschen. Gehen entspricht seiner eigentlichen Natur, denn zu gehen liegt dem Homo sapiens, der ein Homo viator ist, im Blut. Wir sind Bewegungswesen. Es liegt an der modernen Entfremdung des Menschen von der Natur, dass er das Gehen aufgegeben hat. Nun glaubt er, nicht mehr gehen zu müssen, stelle einen Fortschritt dar. Der zunehmende Niedergang des Gehens wirkt sich so katastrophal aus, wie die künstliche Trennung von Körper und Psyche oder die Entfremdung des Menschen von der Natur. Die Hegemonie der Kultur über die Natur, des Körpers über das leibliche Spüren, hat ihren Zenit erreicht und ist nicht länger zukunftsfähig. Diese Perspektive ist mehr als eine Idealvorstellung, die zu einem guten Leitmotiv taugt. Mir scheint es wichtig, darauf hinzuweisen, dass besonders absichtsloses Gehen, Flanieren oder Spazierengehen, eine einzigartige Wahrnehmung der Welt ermöglicht. Näher und intensiver als zu Fuß kommt uns die Umgebung, in der wir uns bewegen, nie. Zu Fuß spüren wir die Welt am eigenen Leib. In den vorausgegangenen Erzählungen war immer wieder davon die Rede.