Samstag, 25. April 2020

Arroyo de Cañuelo


Es wird einem selten das Schlimmste zugemutet,
aber es kommt doch vor. Und keine Lokalkenntnis,
keine Reiseerfahrung reichen aus, dich im Voraus
wissen zu lassen, wo es vorkommen wird und wo nicht.

Theodor Fontane

Wer in ein gewisses Alter gekommen ist, der weiß, dass er kein anderer sein kann als der, der er schon immer gewesen ist. Die Kunst des Lebens besteht darin, sein Potenzial so gut wie möglich zu entfalten, das Vorhandene zu verfeinern, zu vervielfältigen, zu variieren, zu optimieren, Möglichkeiten zu nutzen oder zu suchen, Erfahrungen zu machen. Das bedeutet persönliche Entwicklung: physisch, psychisch, ethisch. Das neutestamentliche Gleichnis von einem Kaufmann, der jedem seiner drei Söhne eine Münze namens Talent gab, wie herrlich doppeldeutig, gefiele mir besser, wenn er alle mit einem dieser besonderen Talente bedacht hätte. Nur seine drei Söhne. Unethisch für die christliche Lehre, doch ich will das Gleichnis nicht zu wörtlich nehmen. Eine Landkarte wäre gut, ein Passierschein für die Träume, mit der man im Gelände untertauchen kann, jedenfalls soweit das überhaupt möglich ist. Kleine Angst und große Angst. Die kleine Angst ist gut. Sie ist ein Freund, der sagt: Weitermachen!

Der Naturpark Los Alcornocales ist eine bergige Landschaft nördlich von Gibraltar, gerade noch in der Provinz Cádiz gelegen. Sie beherbergt die größten Korkeichenwälder der Iberischen Halbinsel, in einem der größten naturnahen Wälder des Mittelmeers. Los Alcornocales liegt im Zentrum der europäischen Korkproduktion. Die Korkeiche des westlichen Mittelmeers bietet mehr als den Superlativ seiner Verbreitung. Die Alcornocales sind ein Naturpark mit Mittelgebirgshöhen, der 1989 gegründet wurde. Der höchste Gipfel, der Pico del Aljibe, reicht bis auf mehr als tausend Meter. Spuren von Steinverarbeitung und Höhlenmalereien in der bergigen Landschaft weisen auf die Anwesenheit von Menschen schon in der Steinzeit hin. In der Nähe die Höhle Cueva de la Laja Alta und bronzezeitliche Felszeichnungen. Im zweiten Jahrhundert gehörte der heutige Naturpark zur römischen Provinz Hispania Ulterior, und während der römischen Besatzung hieß Jimena Oba und prägte eigene Münzen. Das maurische Ximena gehörte zu den Grenzbefestungen, die von Algeciras bis nach Torre Alháquime reichte.

Ich habe das Kleingedruckte wieder einmal nicht gelesen. Anstatt in Jimena de la Frontera zu wohnen, liegt meine Unterkunft zwei Kilometer entfernt im Dorf Los Ángelos, vor den Toren von Jimena. Zwei Kilometer verlängern meine Wanderung jeden Tag um fast eine Stunde. Ich muss schließlich wieder zurück. Los Ángelos mit seiner großen Schwester auf der anderen Seite des Ozeans zu vergleichen, würde beiden nicht gerecht. Die Fahrt mit dem Bus von Cádiz, über Tarifa und Algeciras, nach Jimena de la Frontera dauert sechs Stunden; drei davon warte ich auf den Anschluss in Algeciras. Was ich von Tarifa und Algeciras aus dem Busfenster sehe, verlockt mich nicht zu bleiben. Cádiz hat mein Herz gewonnen, eine angenehme Stadt, die alles in der richtigen Mischung besitzt. Es ist Nachmittag, als ich in den Alcornocales ankomme, am Fuß des Städtchen Jimena de la Frontera, in der modernen Peripherie mit zugehörigem Konsumangebot.

Im Café an der Ecke, eine flüchtige Bekanntschaft. Willibrod, ein Niederländer, lebt seit zwanzig Jahren im Ort. Wir reden vom Wandern, und er erzählt von einer Gruppe, die sich morgen auf der Plaza zu einer Wanderung trifft. Das ist nichts für mich, sage ich ihm. Wir lächeln uns an. Er versteht mich sofort. „In einer Gruppe wird viel zu viel geredet,“ sein Kommentar. „Dann bekomme ich nichts von der Landschaft mit!“ Es gibt zwei Arten von Wanderungen, die außer dem Gehen nichts gemein haben: die in der Landschaft und die mit einer Gruppe, eine meditative oder eine kommunikative. Mir gefällt es, wenn es Alternativen gibt. Nichts ist so öde wie die Monotonie, das Nivellieren der Kulturen der Welt durch den globalen Kapitalismus. Ich habe mich schon oft gefragt, ob die Faszination des Wanderns an der Vielfalt in der Einheit liegt, der ungezähmten Lebendigkeit, die nur die Natur aufbieten kann; selbst noch in Zeiten ihrer Bedrohung. Willibrod kommt täglich ins Café, um auf seine Tochter zu warten, die er von der Schule abholt. In jedem Jahr im Mai veranstaltet er ein Klassik-Musikfestival. Das Abschlusskonzert fand vor einer Woche statt. Im Ort wird es dann international. Musikliebhaber versammeln sich, um zuzuhören aber auch, um gemeinsam zu musizieren. Das Programm reichte in diesem Jahr von Bach bis Debussy; Chöre, Orchester und Solodarbietungen. Nun verstehe ich auch, warum alles ausgebucht war. „Los Ángeles,“ sagt er auch, „ist öde.“ Er schlägt mir eine Unterkunft im weißen Dorf am Berg vor. Doch ich habe gebucht und bezahlt: Hacienda de Don Louis, eine passable Ferienwohnung. Und noch etwas gibt er mir mit auf den Weg: „Nachmittags ist es zu heiß, um zu wandern.“ Er muss es wissen, denke ich, er lebt hier. Dann fährt er mich in das zwei Kilometer entfernte Hotel, und ich sehe es auch: Los Ángeles ist öde! Ich wohne isoliert, weit ab vom Geschehen, wenn es hier so etwas gibt. Eine Wandergegend, unattraktiv für einen Durchschnittstouristen, mit seiner Entourage und seinem Equipment.

Willibrods Worte im Ohr, stehe ich morgens früh auf. Um acht Uhr bin bereits unterwegs. Die Landstraße von Los Ángeles nach Jimena de la Frontera säumen Weiden, Felder und Gewerbeanlagen; am Rand verläuft ein breiter Fußgängerweg unter rosa blühenden Bäumen, die den Weg in tiefe Schatten tauchen. Fitnessgeräte, ein kleiner Spielplatz und Ruhebänke versüßen einen Spaziergang zwischen beiden Orten. Jenseits einer großen Brache, die in eine Flusslandschaft mündet, leuchten die weißen Häuser von Jimena in der Morgensonne. In den Ort zweigt eine breite Promenade ab. Ein großer Kreisverkehr, moderne Architektur, eine Badeanstalt, die noch nicht geöffnet ist, kleine Läden, ein Supermarkt, ein Restaurant zieren die Unterstadt. Dann biegt eine schmale, gepflasterte Straße den Hügel hinauf ab, mitten in das Gewirr von Gassen und kleinen Plätzen der Altstadt, die sich um den Hügel schart. Als ich an einer Apotheke vorbeikomme, zeigt das Thermometer bereits vierundzwanzig Grad. Es ist windstill, und ich bin bereits nass geschwitzt, als ich auf der Plaza de Constitución mit der Kirche ankomme, oben im Dorf, Start und Ziel meines Rundwanderwegs. Die Bars und Restaurants um die Plaza sind so früh am Morgen noch geschlossen, aber ich habe meinen Milchkaffee in einer leeren Bar in der Unterstadt getrunken; an der Endstation der Busse aus Algeciras. Ich schwanke noch, ob ich es mir im Ort gemütlich mache, oder doch aufbreche. Doch es ist früh genug, um mittags zurück zu sein. Hoch über mir thront die Silhouette einer malerischen Ruine auf dem Kamm des Hügels: eine Alcazaba, einst eine Befestigung der westlichen Grenzlande, die das maurische Königreich Granada sicherte. Die große Plaza mitten in der Altstadt liegt ausgestorben im Schatten der Festung, die majestätisch ins Blaue aufragt. Ein enger steiler Weg, unterbrochen von Treppenstufen, führt hinauf zum Torre de Relógio, dem klobigen seit 1931 durch spanisches Gesetz geschütztes Kulturgut, Bien de Interés Cultural. Die Alcazaba wurde im 8. Jahrhundert auf den Resten des römischen Oba errichtet, ein Wachposten in den unsicheren westlichen Grenzlanden. Sechshundert Jahre später eroberten es christliche Truppen unter Heinrich IV., und die Mauren wurden vertrieben. Eine beeindruckende Festungsmauer umschließt die Hügelkuppe, ein offenes Grasland, weit verstreut ein paar Bäume. Das Bad der maurischen Königin, der Taufstein aus einer mozarabischen Kirche, mehrere Grabnischen, ein dreizehn Meter hoher Wohnturm und Zisternen aus mehreren Epochen. Dazu der Friedhof von Jimena im Norden des Kastells. Die Alcazaba steht auf dem höchsten Punkt des Hügel, ihre Mauern weisen nach Westen. Hoch über der Landschaft gelegen, ist der Blick in alle Richtungen frei. Über die ungeschützte Hügelkuppe weht kräftiger Wind. Die Festungsmauern und Gebäude bieten kaum Schutz. Ich muss mich an der Mauerkrone festhalten und gegen den Wind anstemmen, der mir ungehindert entgegenweht. Freihändig zu stehen, etwa an den äußersten Rand der Kuppe zu treten, hoch oben zu stehen, Jimena de la Frontera tief unten zu meinen Füßen, ist unmöglich. Der Wind würde mich mit sich reißen. Es wird viele Menschenleben gekostet haben, diese Festung zu erobern: die gute Übersicht über die Landschaft, ein Fluss an der Basis des Hügels, der steile, ungeschützte, fast vegetationsfreie Hang, die hohe, mit Kriegern besetzte Mauer.

Auf der Südflanke des Hügels führt ein Weg hinab an den Río Hozgarganta. Enge Gassen, mit schmalen Streifen Schatten entlang der Häuserzeilen, führen hinab an den Fluss, einen der letzten ungezähmten und ökologisch gesunden Flüsse Andalusiens. Im Schatten einer in die Jahre gekommenen Brücke, deren Bodenplatten bedenklich klappern, wenn sie ein Auto überquert, schaue ich Wasserschildkröten zu, die sich träge im Wasser treiben lassen. Weiter hinten schlängelt sich eine rote Linie durch das gelblich trübe Nass: eine Schlange. Jenseits der Brücke steigt die Straße aus dem Flusstal wieder hinauf in die Berglandschaft, von der der besiedelte Hügel ein Ausläufer ist. Der Asphalt liegt als graues Band mit scharfen Kanten und Löchern auf dem Land; asphaltiert und schattenlos unter dem wolkenlosen Himmel. An einem Bauernhof bevölkern Hühner, Gänse, Truthähne, Ziegen und Hunde den Straßenrand. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, gehen sie gelassen ihren Beschäftigungen nach. Selbst ein hupend vorbeieilendes Auto lässt sie kalt. Nur ein Esel, weiter oben auf der Weide, i-iaht mir schrill entgegen. Er steht auf der anderen Seite des Zauns, den Kopf mit unglücklichem Blick über die Maschen gereckt. Er blickt mich vorwurfsvoll an, während ein paar Ziegen gelangweilt kauend im Schatten der Krone einer großen Pinie liegen. Neugierig blicken sie zu mir herüber. Wollen sie mir etwas sagen? Wie verrückt es ist, sich in der prallen Sonne aufzuhalten Ich gehe weiter, denn ich fühle mich nicht wirklich eingeladen, mich zu ihnen zu gesellen.

Die Straße steigt zunehmend an, ich gewinne an Höhe, und die Aussicht entschädigt für die Anstrengung und den vergossenen Schweiß. Ich blicke über das weiße Jimena auf dem Hügel hinweg, das unter mir zurückbleibt; fast auf Höhe des Castillo Fortaleza. Ich gehe im Schatten der wenigen Bäume am Wegrand entlang, immer weiter hinauf. Das Portal der Finca Las Limas liegt im Schatten großer Bäume, deren Kronen sich als Baldachin über die Straße ausbreiten. Ein idealer Platz für die erste Rast. Viel zu früh ist die erste Flasche Wasser leer. Zwei weiße Pfeiler - La Breña de la Madera - ein Tor, durch das die Straße weiterführt. Ich bin noch immer nicht oben, und es wird steiler. Die letzten Bäume, die noch vereinzelt Schatten spenden, liegen längst hinter mir. Auf der Bergeshöhe breitet sich Heide aus. Eine Rast unter einem niedrigen Busch, dessen Zweige sich durch die Maschen eines Zauns zwängen. Vesperzeit. Auf den gelben Blüten zu meinen Füßen herrscht Hochbetrieb. Wildbienen stopfen sich mit Pollen und Nektar voll, Schmetterlinge taumeln trunken über sie hinweg. Zwischen den Gräsern, im Unterholz der Wiese, schleppen schwarze Ameisen Spelzen, trockene Blütenreste, kleine Stöckchen und zersägtes Gras über einen unsichtbaren Weg. Es muss einen geben, denn sonst wären die Reihen prozessierender Ameisen nicht so sicher unterwegs. Es ist der Geruch von Körperausscheidungen, eine Duftnote, der ihnen den Weg weist; eine olfaktorische Welt. Oft ist die Last, die sie tragen, um einiges größer als sie selbst, der Eingang in ihr unterirdisches Labyrinth nur eine schmale Spalte im Grasdschungel. Das Tor in ihren Bau befindet sich neben einem faustgroßen, kantigen Stein. Es ist eine mühsame Arbeit, sich mit dem sperrigen Material durch die enge Pforte zu zwängen. Die Vögel, Adler und Gänsegeier, die es geben soll, bleiben verborgen. Ein paar Schwalben sammeln im Sturzflug Insekten aus der Luft. Der Himmel ist leer, unendlich weit, tiefblau und wolkenlos. Es lohnt sich, inne zu halten. Selbst auf dem kleinsten Fleck offenbart sich Landschaft. Unversehens taucht ein Wanderfalke am Himmel auf. Er schwebt in der warmen Luft, die Flügel bewegungslos, bis auf ein leichtes Zittern. Aufmerksam beobachtet er den Boden unter sich. Vesperzeit.

Auf der runden Kuppe des Hügels biegt ein unbefestigter Wirtschaftsweg hinüber auf die andere Seite, hinab ins Tal des Arroyo de Cañuelo, eines kleinen Bach, am Grund einer engen Schlucht. Doch zuerst schlängelt sich der Weg um eine Rundung und verschwindet in einem Korkeichenwald, der den Hang auf beiden Seiten bedeckt. Der immergrüne und winterharte Laubbaum ist dürrebeständig, und stellt nur äußerst bescheidene Ansprüche an die Bodenbeschaffenheit. Seine nutzbare Rinde gibt dem Baum seinen Namen, denn er produziert während seines Lebens hundert bis zweihundert Kilogramm Kork. Dieser besteht aus abgestorbenen, mit Luft gefüllten, dünnwandigen Zellen aus Zellulose und Suberin. Kork besitzt wärme- und schallisolierende sowie wasserabstoßende Eigenschaften. Nach zwölf bis fünfzehn Jahren hat der Stamm einen Durchmesser von zwanzig bis dreißig Zentimetern erreicht. Dann kann die erste Schicht, der männliche Kork, geerntet werden. Hochwertigen Kork liefert allerdings erst der weibliche Kork der folgenden Ernten. Die Korkschicht wird immer wieder nachgebildet, sodass die Ernte alle acht Jahre wiederholt werden kann, ohne dass der Baum Schaden nimmt. Die Korkeiche profitiert von dem feuchten Klima zwischen Atlantik und Mittelmeer, das den Westwinden, den Poniente, zu verdanken ist. Aber auch der aus dem Osten wehende Levante bringt Feuchtigkeit aus dem Mittelmeer mit. Die Bäume wachsen locker gepflanzt entlang einer unbefestigten Piste rotbrauner Erde. Viele Stämme haben ihre Rinde abgegeben, bis an die erste Astgabel, auf fast zwei Meter Länge. Ihre irritierende Nacktheit, ihr intensives, dunkles Rotbraun, schluckt das milde Sonnenlicht, das zwischen ihre Kronen hindurch den Boden fleckt. Ich liebe die lichten Laubwälder Mitteleuropas, in denen die Buche dominiert, leuchtend im Sonnenlicht, in ihrem grün schimmernden Biotop, in der warmen Zeit des Jahres. Eine Landschaft der entspannten Ruhe und kontemplativen Versenkung, Der Gesang der Vögel und das Summen der Insekten bildet den meditativen Kontrapunkt. Ich kenne keinen anderen Wald, der sich so anfühlt. Doch ich schätze auch die modrig feuchten Wälder Galiciens, ihr dämmrig graues Licht, das die Kontraste in der Umgebung weichzeichnet, ihre zwielichtige Atmosphäre der knorrigen Bäume, an denen Flechten wachsen, und die ihre bemoosten Füße ins Erdreich stemmen. Von den Ästen und Zweigen hängen verfilzte Zwergenbärte herab. Eine Stimmung, als ob jeden Moment ein Nebel aufzieht, der bizarre Gestalten ins Freie entlässt. Ein unheimlicher Hauch liegt in der Luft. Es ist immer eine Erlösung, auf einer Lichtung ins Freie zu treten.

Wandern in einem Korkeichenwald ist unvergleichlich und ähnelt am ehesten dem lichten Buchenwald. Wandern im Halbschatten. Wandern durch eine grünrote Landschaft, durch einen lichten, sonnendurchfluteten Wald, dessen friedliche Stimmung das pure Glück ist. Ich weiß nicht, wie ich diese Empfindung, die dieser Wald in mir auslöst, anders beschreiben soll. Es ist kühler unter den Blättern. Erfrischend nach der heißen Sonne auf der Straße. Nach dem schattenlosen Weg wirkt das von der Sonne beleuchtete Grün entspannend, einladend zu verweilen, sich niederzulassen, zu schauen und zu fühlen. Selbst die Luft, die ich atme, schmeckt reiner. Eine Wohltat für die Augen, die nun weit geöffnet sind, staunend, nicht länger vom grellen Licht geblendet. Der Weg unter meinen Füßen schimmert ziegelrot, kontrastiert von grünem Laub. Grauer Kalkstein bricht sich überall seinen Weg durchs Erdreich, steil aufragendes Felsgestein, vom Biss der Erosion gezeichnet. Viele Felsbrocken sind so alt, dass Moose und Flechten auf ihnen wachsen. Abwärts führt der Weg, in Kurven und Schleifen, durch Rinnen und Schlaglöcher, durch die Profilspuren schwerer Reifen. Die Gestalt vieler Bäume variiert in fantastisch grotesken Formen, wie sie nur noch in Olivenhainen zu sehen sind. Nichts erinnert an die nordische Eiche. In ihrer fremden, leicht bekleideten Schönheit wirkt die Korkeiche unvertraut. Viele der Bäume sind Jahrzehnte alt. Wie exotisch gereifte Frauen, die in ihrer prallen Lebendigkeit und Farbigkeit nichts Blasses haben. Die Stämme und ausladenden Äste erinnern an die Eiche daheim, doch ihre Blätter kleiden die Korkeiche merkwürdig fremd. Ein mattes Dunkelgrün, ledig und trocken. Lanzettspitzen, an den Rändern leicht gekrümmt. Ihre Schwester aus dem Norden würde verdursten, denn ihre Blätter können die Feuchtigkeit in der Hitze Andalusiens nicht speichern. Ich wandere auf komfortablen Grund, immer noch abwärts, immer weiter hinab in eine Schlucht. Auf deren Grund fließt der Arroyo de Cañuelo, ein kleiner Bach mit Niedrigwasser, der auf seinen großen Bruder, den Río Hozgarganta, zueilt. Um den Fuß des Kegelbergs, auf dem Jimena de la Frontera im Schatten des Castillo Fortaleza liegt, schlagen sie gemeinsam einen Bogen in die Ebene. Irgendwann treten die Korkeichen zurück, und überlassen verstreut wachsenden, wilden Olivenbäumen und niedrigem Strauchwerk das Terrain. Noch bin ich nicht in der Talsohle. Gegenüber eines Korrals, wo blecherne Schweinekoben ins Leere gähnen, zweigt ein verlockender Trampelpfad ab, nicht mehr als eine schmale Fährte im Gras. Ein direkter Weg hinunter in den Grund der Schlucht, steiler zwar als die weiten Schleifen der rotbraunen Piste, die weit sichtbar zwischen den Bäumen abwärtsführen. Aber verlockend.

Über Stock und Stein schlängelt sich der Pfad den Hang hinab, hindurch zwischen Felsbrocken, Bäumen, abgeworfenen Ästen und schütterem Unterholz. Zuerst scheint es, als ob jemand diesen Weg regelmäßig geht. Einen solchen Pfad, denn mehr ist es eigentlich nicht, im Gelände nicht zu verlieren, erfordert etwas Übung, das sollte ich inzwischen wissen. Was sich zuerst so deutlich sichtbar am Boden abzeichnet, die Richtung weist, und zuverlässig wirkt, verzweigt sich plötzlich in verschiedene Richtungen oder verschwindet völlig, um ganz woanders aufzutauchen. Dann reicht Achtsamkeit allein nicht mehr aus, dann ist Ortskenntnis gefragt. Mir bleibt nur übrig zu raten, und zu versuchen, im ungegliederten Gelände die ungefähre Richtung nicht zu verlieren. Vertrauen darauf, dass alles gut geht, ist die bessere Option. Mittlerweile hat sich das moderate Gelände in einen abschüssigen Hang verwandelt. In solchen Momenten schleicht sich schnell ein unheimliches Gefühl ein, besonders dann, wenn das Verirrtsein an Gewissheit grenzt. Soll ich zurückzugehen? Wenn ich meinen Irrtum erkenne, ist es oft schon zu spät. Soll ich zusätzliche Kilometer vermeiden? Was ist vernünftig, was spannend, was reizvoll? Doch solche Gedanken sind müßig, ich bin schon zu weit gegangen, und es ist schwieriger den Weg zurückzufinden als weiterzugehen. Ein wenig riecht es immer nach Abenteuer. Im Nachhinein klingen solche Eskapaden unspektakulär. Sie eigenen sich gut dazu, den Daheimgebliebenen Appetit auf Landschaft zu machen. Ihre Neugier auf das andere ihrer urbanen Wirklichkeit zu wecken. Während ich selbst den Weg bereits zu Ende gegangen bin, äußern meine Zuhörer Bedenken, sind erstaunt und besorgt. Sich in Europa besorgniserregend zu verirren, ist fast unmöglich geworden. Trotzdem ist das Gefühl, sich verlaufen zu haben, nicht zu unterschätzen. Wir bewegen uns mittlerweile unsicher und unwohl im offenen Gelände. Wir haben die Fähigkeiten, uns ohne technische Hilfsmittel zu orientieren, weitgehend verloren. Weit und breit der einzige Mensch zu sein, umgeben von unstrukturierter Natur, äußerst sich in einem unangenehmen Gefühl. Wir spüren es mulmig und beengend in unserem Bauch. Wenn Wege mit den Erwartungen und Erfahrungen plötzlich nicht mehr übereinstimmen, schrillen die Cortisol- und Adrenalin-Sirenen im Blut, die einen Störfall vermuten. Verirrt schießt es mir in den Sinn, und damit Verunsicherung und Sorge, die noch keine Angst ist. Obwohl ich weiß, dass die nächste Siedlung nicht weit entfernt sein kann. Die Rationalität streckt in dieser Situation schnell die Waffen. H.P Lovecraft bemerkte einmal, dass das älteste und stärkste Gefühl der Menschheit die Furcht ist, und die älteste und stärkste Furcht die Furcht vor dem Unbekannten. Wenn das stimmt, dann verwundert die nicht beharrliche Fremdenfeindlichkeit der meisten Kulturen nicht. Selbst heute noch weckt das Wort verirrt Archaisches auf, vermittelt weit mehr als nur geographische Unsicherheit. Nur wo wir zu Hause sind, kennen wir uns wirklich aus, kennen jede Ecke, jeden Weg, jede Abkürzung. Zu Hause können wir unsere Wege beliebig variieren. In der Fremde verlieren wir diese Selbständigkeit, die Sicherheit, mit der Umgebung souverän umzugehen. Die Struktur unserer inneren, kognitiven Landkarte gerät durch neue landschaftliche Perspektiven in Unordnung. In eine konstruktive Unruhe, die die Fähigkeit, das Vertraute los zu lassen oder zu hinterfragen, fördert. Sich zu orientieren ist eine soziale Situation. Mein Orientierungssinn ist nicht der allerbeste, aber er ist während des Wanderns, und dem damit verbundenen Umgestalten meiner kognitiven Landkarte, besser geworden. Anscheinend entwickele ich die Fähigkeit, meine Karten flexibler zu nutzen. Ich finde mich in der Natur inzwischen besser zurecht. Doch den Gefühlen ist das einerlei. Meistens komme ich dort an, wo ich will, aber eben nicht immer, und auch nicht immer am gewünschten Ort. Ich habe auch schon aufgegeben, und bin zurückgegangen. Aber zuerst versuche ich es immer mittendurch. Kreuz und quer den Hang hinab, den suchenden Blick schon lange nicht mehr auf einen Pfad gerichtet, der mich narrt und nirgendwo zu sehen ist. Der abschüssig gewordene Hang benötigt meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Über Wurzeln, Äste und Steine, durch Löcher und um Abhänge herum, gehend, hüpfend und stolpernd. Mir fällt eine ähnlich kuriose Situation ein, an der kantabrischen Steilküste, westlich von Santander, als ich in hüfthohem Gestrüpp und Gesträuch, dazwischen Bäume, deren Blätterdach den Himmel verdeckte, mir einen Pfad bahnte. Damals war ich nicht allein. Andres aus Valencía ereilte das gleiche Schicksal, denn wir trafen uns in diesem Dickicht, mit erhobenen Armen, um vorwärts zu kommen. Andres zeigte mir sein Smartphone und beruhigte mich. Den Camino del Norte in Blickweite schaffte es die Navigations-App nicht, uns aus unserem Wanderdilemma zu befreien. Immer wieder standen wir zu nah am Rand der Steilküste. Schließlich mussten wir doch mittendurch. Beim Abstieg an den Bach, dessen Rauschen immer lauter wurde, musste ich unwillkürlich grinsen als ich an meine Begegnung mit Andres in diesem Miniaturdschungel denken musste.

Endlich unten am Ufer des Cañuelo, ein schon im Mai mickriges Bächlein. Es fällt immer weniger Regen in Andalusien, darüber klagen sie alle. Der Bach ist nur ein bis zwei Schritte breit, mit einigen Trittsteinen bequem zu queren. Der Uferbereich liegt voller Kiesel, einige kopfgroß, dort, wo eigentlich das Wasser jetzt fließen sollte. Einen Pfad gibt es auf keiner Seite des Bachs, aber der Uferbereich ist stellenweise begehbar, nicht gut, denn er ist reichlich überwachsen. Im Grund der Schlucht ist es feucht, kühl und schattig, doch es dauert nicht lange, und ich bin wieder nass geschwitzt. Mühsam bahne ich mir einen Weg bachwärts, über große Steine und Felsbrocken hinweg, durch ein Dickicht von Oleander, dessen rosablühende Sträucher den Cañuelo auf beiden Seiten einrahmen. Das Bachtal ist in eine rötliche Atmosphäre getaucht, süß und eindringlich für die Sinne, ein Hauch von Undurchdringlichkeit für das Gefühl. Es raschelt neben mir im Gebüsch. Panisch brechen Tiere knackend und krachend durchs Unterholz. Die ersten beiden sehe ich nicht richtig, und halte sie für flüchtende Kaninchen, von denen es viele gibt. Das dritte erkenne ich: ein Frischling, der etwas langsamer ist als seine Geschwister. Fantasien von einer Bache, die jeden Augenblick den Hang hinabstürmt, um ihren Nachwuchs zu beschützen, spulen sich vor meinem inneren Auge ab. Ich spüre wie mir der Schreck in den Bauch sackt. Einfach weitergehen, sich nicht umdrehen, vielleicht war es eine Trugwahrnehmung. Dass die Frischlinge gar nicht mehr so frisch waren, und schon braunes Fell trugen, realisiere ich etwas später. Selbständig werdende Jungtiere auf ihren ersten Erkundungen. Panischer als ich es bin. Ich hoffe, die Richtung stimmt. Ich gehe davon aus, dass der Bach irgendwann in den Río Hozgarganta fließt. Ich muss ihm nur folgen, bin optimistisch. Unerwartet führt ein Weg aus dem Bach, eine Furt für Forstfahrzeuge, ein breiter Wirtschaftsweg, der hoch auf der Böschung liegt. Er steigt zunehmend an, und wechselt sooft die Richtung, bis ich nicht weiß, wo der Bach fließt. Immer höher führt der komfortable Forstweg aufwärts. Dann endet er unvermittelt auf einer wunderschönen, offenen Lichtung, auf der die Reste gefällter Bäume liegen. Stapel gefällter Bäume säumen rechts und links die Piste. Eine Lichtung, die kein anderer Weg verlässt. Ein Wendehammer für Forstmaschinen und unvorsichtige Wanderer. Meine Entscheidung erinnert ein bisschen daran, sich mit verbundenen Augen im Kreis zu drehen. Schließlich streikt der Richtungssinn, und die Orientierung geht verloren. Dorthin, wo ich den Bach vermute, stolpere und rutsche ich einen weglosen Hang hinunter. Als ich den Baum mit der rotweißen Markierung passiere, weiß ich es: Ich bin im Kreis gegangen. Eine letzte Biegung, ich stehe wieder an der Furt, an der ich vor über einer Stunde aus dem Bach auf die Piste geklettert bin. Seit ich in Andalusien wandere, habe ich mich bereits mehrmals verlaufen. In Cómpeta habe ich einen Pfad über einen Berg verpasst. Der Weg zwang mich immer mehr in die falsche Richtung, bis ich aufgab, und nach Cómpeta zurück getrampt bin. Sieben Kilometer Landstraße in angenehmer Begleitung. Am Cabo de Gato war ich plötzlich ungewollt querfeldein unterwegs, zwischen Dünen und schroffen Felsen, auf einer meiner schönsten Wanderungen entlang einer Steilküste. Eine Wanderung in den Alcornocales der Provinz Cádiz brachte mich statt zurück nach Vejer de la Frontera nach Barbate, zu einem erstaunlichen Taubenschlag und in ein Städtchen, das ich sonst nicht kennengelernt hätte. Sich verlaufen und im Kreis gehen gehören für mich zum Wandern, sind seine interessanteste Variante. Wer immer nur mit einer Wanderkarte oder einem Wanderführer unterwegs ist, macht die Wanderungen eines anderen. Wo sonst warten Spannung und Abenteuer?

Dass man sich auch in einem Bach verlaufen kann, wusste ich noch nicht. Der Oleander steht immer dichter, und die romantisch rosarote Stimmung geht in der Anstrengung des Kletterns sprichwörtlich den Bach hinunter. Die Felsen im Bachbett werden größer und liegen dichter zusammen, bis ich schließlich zu ihnen aufschauen muss. Wie eben noch am Hang, klettere und rutsche ich kreuz und quer durch den Cañuelo, der plötzlich einem Felslabyrinth gleicht. Über Felsbrocken, unter ihnen hindurch, um sie herum. Wenn der Durchgang zu eng ist, balanciere ich über Trittsteine im Bach, klettere über die großen runden oder flachen Felsen und rutsche auf der anderen Seite wieder herunter. Mehr als einmal stehe ich mit den Füßen im Wasser. Die Ufer sind entweder zu steil oder zu dicht bewachsen. Sie bieten keinen Ausweg. Nach einem Weg hinaus suche ich lange Zeit vergebens. Die Zeit verrinnt, es ist heiß, und ich habe Durst. Aus dem Bach zu trinken, traue ich mich nicht. Ich weiß nicht, wo er überall sein Wasser eingesammelt hat. Mehrmals gehe ich hin und wieder zurück, immer wieder andere Stellen ausprobierend. Ich irre ziellos in einem Bach herum, welch eine absurde Vorstellung. Einen Ausgang aus dem Felsgewirr, in das ich geraten bin, scheint es nicht zu geben. Zumindest sehe ich keinen. Ich spüre, wie ich hektisch werde, weniger achtsam bin, nicht mehr wirklich auf den Weg achte. Ich will nur noch heraus aus diesem Bach, dessen Name nach Backwerk klingt. Stattdessen verstricke ich mich immer mehr in sein steinernes Labyrinth. Obwohl ich noch Stunden Zeit habe einen Ausweg zu finden, steigt mein Unbehagen und zerrt an meiner Gelassenheit. Bilder steigen auf, diffuse Gefühle, die davon handeln, nicht mehr herauszufinden. Die körperliche Anstrengung macht mir zu schaffen, die Mittagshitze und der Durst, denn meine Wasserflasche ist lange leer. Schließlich finde ich doch einen Weg aus dem Bach. Er liegt hoch oben am Hang, versteckt zwischen Sträuchern, und ist aus dem Bachbett schlecht zu sehen. Aber ich stehe im richtigen Moment auf einem der glatt geschliffenen Felsen und sehe, wie er sich den Berghang hinauf schlängelt. So ist das immer. Trotzdem mischen sich auch die besorgten Gefühle immer ein. Es kommt mir fast so vor, als seien diese archaischen Gefühle vernunftresistent. Der Weg hinaus ist unregelmäßig mit groben Steinen gepflastert. Ein alter Weg, sicherlich, doch er kündet von Zivilisation, die hier einen Weg in die Natur gelegt hat. Meine Welt gliedert sich erneut in überschaubare Dimensionen. Ordnung und Richtung im Unwegsamen. Ich bin zurück aus chaotischen Gefilden. Vor mir erstreckt sich strukturierte Landschaft. Ein Weg, und wenn er noch so einfach ist, weckt Vertrauen und gibt Sicherheit. Ich bin wieder einmal der ungeordneten Natur entkommen. Eine der frühesten Kulturleistungen: einen Weg durch die Wildnis zu finden, dem Menschen Zugang und Zugriff zu sichern, ihn zu bewahren und das Wissen darüber zu tradieren. Ich bin in den letzten Jahren viele dieser alten Wege gegangen. Immer suggerieren sie mir Bilder von vergangenen Passanten und Ereignissen. Heute befördert niemand mehr Waren und Ideen auf diesen Wegen, verkehrt außer Wanderern niemand mehr auf ihnen. Vielleicht der eine oder andere, der sich wie ich verlaufen hat. Ein Jäger höchstens, der den Schwarzkitteln nachstellt. Heute gehe ich allein über das Pflaster und spüre wieder intensiv die Kraft, die in diesem Wegen liegt. Von der ehemaligen Wassermühle Molino de San Francisco, wo schon im frühen 18. Jahrhundert Getreide zu Mehl gemahlen wurde, stehen nur noch Mauerreste. Steine liegen verstreut zwischen Pflanzen, die sie unter ihre Fittiche genommen haben. Anscheinend führt der Arroyo de Cañuelo schon lange nicht mehr genug Wasser, um eine Mühle zu betreiben. In der Ferne ragt das Castillo Fortaleza auf seinem Höhenkamm über der Landschaft auf. Nun kenne ich die Richtung und finde auch den Weg ans andere Ufer. Das Bachbett ist nun schmal, und leicht mit einem Schritt gequert. Das eingezwängte Wasser plätschert schäumend über Steine. Davon liegen so viele im Wasser, dass kaum Platz bleibt, meine Füße zu kühlen. Erst als ich einige von ihnen zur Seite räume, kann ich meine Füße untertauchen. Das Wasser reicht mir nicht einmal bis an die Knöchel. Doch es ist herrlich kühl, fast schon kalt. Ich wasche mir den Schweiß aus dem Gesicht, und wenn ich mich tief genug bücke, fließt mir das Wasser über Arme und Hände. Ich genieße die feuchte Umarmung, die Dämmerung, in der blaue Libellen unter dichtem Laub tanzen. Etwas schillert gegenüber. Ein Eisvögel? Oder habe ich mir das eingebildet? Plötzlich ist es leicht. Jetzt, wo Weg und Richtung keine Herausforderung mehr darstellen, stehen überall kleine Steinpyramiden am Weg. Eine von ihnen, geformt wie ein Mann, weist mit steinernem Arm nach links, unter einen umgestürzten Baum hindurch. Ich verlasse den Bach, mit dem mich nun eine innige Beziehung verbindet. Die Rinnen und Buckel des Maultierpfads winden sich in Serpentinen und über natürlich entstandene Steinstufen abwärts, unter Bäumen und zwischen Gebüsch hinab ans Ufer des Río Hozgarganta. Am Ufer entlang, auf sandigem Grund, noch immer unter Oleander und auf rund und glatt geschliffenen Steinen, ist Jimena de la Frontera nicht mehr zu verfehlen. Erschöpft, erhitzt und angeschlagen ziehe ich mich aus, steige in den Fluss, und sinke bis an die Oberschenkel in faulig riechenden Schlick, langsam genug, um mich auf einem der Felsen abzustützen. Während ich meine Beine im Wasser schaukele, knabbert mir ein Schwarm Jungfische die Schuppen von der Haut. Was für ein Tag!

Nachmittags treffe ich die Ziegen wieder, die mir schon morgens altklug hinterherschauten. Zwei von ihnen stehen auf einer Mauer aus aufgeschichteten Bruchsteinen. Sie blicken von oben auf mich herab, grinsend, wie es nur Ziegen vermögen. Sie amüsieren sich über mich, feixen, während ich mich an ihnen vorbeischleppe. Mir scheint, es sind neunmalkluge Besserwisser, zwei Alte, die aus dem Fenster hängen und lästern, weil sie die Faszination des Wanderns nicht begreifen. Gleichgültig, um welchen Preis. Ich steige noch einmal den Hügel zum Kastell hinauf. Die Sonne steht schon tief, eine Gelegenheit. Aus der Höhe von Jimena de la Frontera sehe ich weit unten in der Ferne Los Ángeles in der Abendsonne.

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